Viele Bescheide über Mehrkosten bei Zuweisung zu einer Wunsch- und Wahl-Klinik werden zukünftig noch leichter erfolgreich anfechtbar sein. Die häufige Praxis, nach der in Bescheiden allein auf die gesetzlich vorgeschriebene Ermessensabwägung zwischen dem Wunsch- und Wahlrecht einerseits und dem Gebot der Wirtschaftlichkeit andererseits verwiesen wird, diese Ermessensabwägung aber nicht am Einzelfall nachvollzogen wird, ist rechtswidrig.
Im Fall Herr F. gegen die BARMER, der am SG Oldenburg (AZ: S 63 KR 261/20) verhandelt wurde, brachte der Kläger vor, dass die zugewiesene 170 km entfernte Reha-Klinik für seine gehbehinderte Ehefrau für Besuche kaum mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. Diese Besuche sind aber – auch ärztlich attestiert – der Genesung von Herrn F. zuträglich.
Vor dem Klageverfahren reagierte die BARMER auf die Wahrnehmung des Wunsch- und Wahlrechtes für eine Anschlussheilbehandlung nach Hüft-TEP mit einer Mehrkosten-Ankündigung für die wohnortnahe Wunschklinik und schlug mehrkostenfrei die weit entfernte Zuweisungsklinik vor. Im späteren ablehnenden Widerspruchsbescheid begnügte sich die BARMER mit Aufzeigen der Gesetzeslage und argumentierte mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot.
Der Arbeitskreis Gesundheit e.V. nahm sich der Vertretung an. Das Urteil des SG Oldenburg bestätigte schließlich die Kläger-Argumentation: Die gesetzlich vorgeschriebene Ermessensabwägung sei im Fall nicht erfolgt. Ein formelhaftes Wiedergeben der Rechtslage in Bescheiden zu Mehrkosten im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechtes stelle keine Ermessensabwägung dar.
Der Mehrkostenbescheid der BARMER ist allein aufgrund dieser Pflichtverletzung rechtswidrig. Ob es die BARMER mit einem neuen Bescheid versucht, bleibt abzuwarten. Das Urteil zeigt auf: Mehrkostenverlangen des Trägers bedürfen im Widerspruchsverfahren einer am Einzelfall vorgenommenen Ermessensabwägung unter Berücksichtigung der vorgetragenen individuellen Lage des Versicherten. Ohne dieses wird ein Bescheid keiner rechtlichen Überprüfung standhalten. Auch der von Krankenkassenseite viel zitierte Vorrang des Wirtschaftlichkeitsgebots gilt nicht.
Ihr Arbeitskreis Gesundheit e. V.